Wissenschaft trifft auf Design: Nachhaltige und ästhetische Möbel aus sogenanntem Organoblech
Mit dem Designer Jonathan Radetz haben Forschende am Fraunhofer WKI ein leichtes Sitzmöbel entwickelt, dessen Sitzschale und Polster in einem Schritt aus sogenanntem Organoblech hergestellt wird. Das Projektteam untersuchte, ob sich Alttextilien verwenden lassen, um ein Sitzmöbel unter ästhetischen sowie nachhaltigen Gesichtspunkten herzustellen. Das Herstellungsprinzip kann auf andere Anwendungsbereiche übertragen werden, zum Beispiel auf die Innenausstattung von Autos.
Organoblech ist ein textilbasierter Verbundkunststoff, der sich aufgrund seines geringen Gewichts besonders für nachhaltige Leichtbauanwendungen eignet. Analog zum Metallblech ist Organoblech endlos als Rollenware erhältlich und lässt sich unter Wärmeeinwirkung umformen. Es besteht aus einem Fasergewebe, das vollständig in eine thermoplastische Kunststoffmatrix eingebettet und konsolidiert ist. Herkömmliches Organoblech konnten die Projektpartner für ihr Vorhaben allerdings nicht verwenden, da die Sitzfläche wegen des Sitzkomforts und der haptischen Qualität eine rein textile, gepolsterte Oberfläche erhalten sollte. Daher wurden aus Alttextilien und einer Kunststoffmatrix aus Polypropylen (PP) Organobleche mit partiellen Bereichen ohne Matrix hergestellt, um sie dann zu einem Sitzmöbel zu formen.
»Die Idee des Designers Jonathan Radetz war, Alttextilien als Fasergewebe in eine Kunststoffmatrix einzubetten. Partiell imprägnierte und konsolidierte faserverstärkte Thermoplasten – vereinfacht hier als Organoblech bezeichnet – ermöglichen es uns, verschiedene Funktionen in einem Prozessschritt umzusetzen: strukturelle konsolidierte und haptische, nicht strukturelle Bereiche. Wir haben die vorteilhaften Eigenschaften von Organoblech als Materialgrundlage genutzt, um ein leichtes, funktionales und formschönes Sitzmöbel zu entwickeln«, erläutert Ole Hansen, Projektleiter am Fraunhofer WKI.
Jonathan Radetz, der Ideengeber für das Design und die Materialauswahl, veranschaulicht den Prozess: »Kunststoffmatrix und Gewebe dienen zusammen als tragende Struktur und stützen sich gegenseitig. Das Gewebe wird in die Matrix eingebettet und erhält dadurch gleichzeitig eine schützende Imprägnierung. Im Bereich der Sitzfläche wird die Imprägnierung ausgespart und das Gewebe wird hinterfüttert, sodass eine Polsterung für die Sitzfläche entsteht, die wir im nächsten Schritt mit einer Form zu einer Sitzschale verarbeiten«.
Die Verwendung von ausgemusterten und recycelten Textilien stellte das Projektteam vor eine besondere Herausforderung. »Die genaue Zusammensetzung eines Textils ist häufig nicht bekannt. Dadurch lässt sich schwer vorhersagen, ob Faser und Matrix zusammen funktionieren. Organobleche bieten an sich für die Möbelindustrie viele Vorteile. Die Verwendung von recycelten Textilien erwies sich allerdings als kompliziert, da der Materialfluss für Textilien komplex und schwer zu reproduzieren ist. Nachwachsende Fasern wie Flachs haben sich für uns als sinnvolle Alternative herausgestellt. Daher möchten wir in einem nachfolgenden Projekt die Möglichkeiten, die Flachsfasern für die Verwendung in Organoblechen bieten, weiter erforschen«, sagt Hansen.
In der ersten Projektephase stellte sich heraus, dass durch die Verwendung von Organoblech als Leichtbaumaterial eine Gewichtsersparnis erfolgt. Dies ist ein positiver Nebeneffekt, denn je leichter ein Produkt ist, desto weniger Energie ist für den Transport nötig. In der neuen Projektphase soll dieser Vorteil ausgebaut werden, ebenso wie die Recyclingfähigkeit der neu zu entwickelnden Produkte.
»Wir möchten in der nächsten Projektphase wieder gezielt den kreativen Austausch zwischen Wissenschaft und Design nutzen, gerade um die Kreislauffähigkeit unserer Anwendungen noch weiter zu verbessern, die natürlich vom verwendeten Material abhängt. In Zukunft möchten wir mit der Verwendung von Flachsfasern in einer thermoplastischen Kunststoffmatrix Materialien nutzen, die sich je nach Materialzusammensetzung besser wiederverwenden und damit recyceln lassen«, sagt Radetz.
Als Gestaltungsbeispiel wählten die Partner zunächst ein Sitzmöbel aus, da es als vielgenutztes Möbelstück die Leistungsfähigkeit und Gestaltungsvielfalt von Organoblech mit partieller Polsterung veranschaulichen kann. »Die für diesen Anwendungsfall entwickelte Materialkombination könnte in vielen anderen Bereichen eingesetzt werden. Der Gestaltungsansatz in Wechselwirkung von Design und Wissenschaft am Beispiel eines Sitzmöbels soll daher in der neuen Projektphase methodisch weiterentwickelt und für weitere Anwendungsbereiche gedacht werden. Der Fertigungsprozess ermöglicht eine hohe Vielfalt bei der Materialauswahl und Formgebung sowie Prototyping und Skalierbarkeit. Hier möchten wir gern weiterforschen, sei es für einen Einsatz in der Möbelbranche oder in der Automobilindustrie«, sagt Hansen.
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